Es sind Wahlen. Deutschland wird auf die nächsten Jahre vorbereitet. Und dieses Mal fällt es mir besonders stark auf: Die Menschen in Deutschland haben gar kein Interesse an Freiheit, weil es schlichtweg zu anstrengend ist, frei zu sein. Freiheit bedeutet Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, und das ist viel einfacher gesagt als getan. Wer kann das besser berichten als ich, der inzwischen so frei ist, dass er wirklich alle Abhängigkeiten hinter sich gelassen hat.
Das Leben könnte doch so einfach sein. Man steht am Montag morgen müde auf und schleppt sich zur Arbeit, um bereits im Auto darüber nachzudenken, wann endlich wieder Freitag ist und was man am kommenden Wochenende so unternehmen könnte. So sehr einen diese Arbeit doch nervt, so sehr vereinfacht sie auch das Leben. Man lebt den 9to5-Alltag vor sich hin und lebt in der Überzeugung, man müsse von Montag bis Freitag zur Arbeit. Die einzigen Entscheidungen, die man selbstbestimmt treffen muss, sind die über die Auswahl aus fünf verschiedenen Mittagessen und die, wo der jährliche Sommerurlaub hingehen soll. Mallorca oder doch lieber Ägypten?
Auf der anderen Seite macht man sich Sorgen, ob man sich die morgendliche Fahrt zur Arbeit überhaupt noch leisten kann, weil die Spritpreise von Jahr zu Jahr steigen. Und das Haus in der Vorstadt muss noch über die nächsten 20 Jahren abbezahlt werden. Nun gut, man hat einen sicheren und einigermaßen gut bezahlten Job in einem Konzern und darf alle paar Jahre mal protestierend auf der Straße die Fahnen schwenken, um für die kommenden Jahre ein paar Prozent mehr rauszuholen.
Das Wort Abhängigkeit klingt böse und negativ, jedoch macht es das Leben einfach sehr leicht. Man muss nicht jede Sache selbst entscheiden, sondern wählt im schlimmsten Fall zwischen mehreren vordefinierten Alternativen.
Gedankenexperiment: Vollständige Freiheit
Jetzt stellt euch mal vor, ihr wärt von allen Abhängigkeiten befreit und von heute auf morgen vollständig frei. Ab sofort ist euer Leben vergleichbar mit der Auswahl des abendlichen TV-Programms: Netflix, Amazon, Disney+, eine Mediathek oder doch einen klassischen Fernsehsender? Nach Entscheidung für eine App klickt man stundenlang durch die verschiedenen Kategorien und verbringt Zeit damit, sich Trailer anzusehen. Die Zahl der vorgemerkten Inhalte steigt, da man viele Sachen findet, die zwar cool sind, aber nach denen einen im Moment einfach nicht ist. Nach 90 Minuten ist man so müde, dass man ohne Serie oder Film einschläft. Hat man doch etwas Passendes gefunden, schläft man trotzdem nach zehn Minuten ein. Am nächsten Tag wiederholt sich das Spiel.
Diese Freiheit ist Stress pur. Menschen können sehr schwer damit umgehen, so endlos viele Wahlmöglichkeiten zu haben. Hätte man wie Anfang der 2000er nur ein paar einfache TV-Sender, wäre es einfach, sich für einen zu entscheiden. Und auch da findet man die Sendungen, die man dann guckt, überraschend cool.
So, und was wäre, wenn diese Freiheit, die einen schon beim abendlichen TV-Programm aus der Ruhe bringt, auf das ganze Leben übertragen wird? Man wacht morgens auf, die Uhrzeit ist nicht vorgegeben. Die erste Wahl steht an: Aufstehen, weiterschlafen oder im Bett kuscheln? Nach dem Aufstehen muss man nicht zur Arbeit, sondern hat die qualvolle Wahl zwischen Millionen möglicher Tätigkeiten. Es ist ein bisschen wie im Urlaub, der nach ein paar Wochen langweilig wird. Schatz, was machen wir heute? Pool und Strand sind langsam öde und meine Leber verträgt es nicht mehr, schon vor zwölf Uhr mittags völlig abgefüllt zu sein. Mieten wir ein Auto für einen Ausflug oder Schlendern wir stattdessen erneut durch die Stadt?
Man kommt also nicht dran vorbei, eine Entscheidung für die Tagesgestaltung zu fällen, wenn man nicht wieder nur im Bett rumgammeln will. Und das gemeine bei Entscheidungen ist, dass man eine gewisse Kompetenz benötigt, um sie richtig zu fällen. Zur Gewinnung dieser Kompetenz ist Zeit notwendig, sehr viel Zeit. Natürlich ist es auch möglich, wahllos Entscheidungen ohne Gedanken über die Konsequenzen zu fällen, allerdings ist es dann nur eine Frage der Zeit, bis einen die Freiheit entweder in die Pleite oder in den Tod führt.
Die Bedienbarkeit der Freiheit
Zugegeben, das mit der Freiheit habe auch ich mir sehr viel einfacher vorgestellt. Die Hinweise, dass eine gewisse tägliche Routine hilfreich ist, habe ich in den Wind geschossen. Zu geil war die Vorstellung, einfach nur noch das tun zu können, wonach mir gerade ist.
Die Realität sieht nun so aus, dass ich morgens in einer mir fremden Stand im Hotel oder airbnb aufwache. Meist alleine, machmal auch nicht. Theoretisch gibt es sehr viele Dinge auf meiner Todo-Liste, praktisch ist es aber nicht so schlimm, wenn ich nochmal einen Tag vergammele. Entscheide ich mich dafür, ein paar Stunden mit Arbeit zu verbringen, muss ich mich entscheiden, an was ich arbeite: Das Kundenprojekt, welches eigentlich noch ein paar Wochen Zeit hat, die Arbeit an eigenen Projekten oder die Fertigstellung eines neuen Blog-Artikels, der noch den Draft-Status hat? Gegen Mittag knurrt der Magen und es stellt sich die Frage, ob ich Lust habe, wieder in mir völlig unbekannten Supermärkten nach Lebensmitteln zu suchen, die mir zusagen, oder ob ich einfach den nächsten Italiener aufsuchen sollte, obwohl ich auch hier noch keinerlei Erfahrung habe, wir das Essen wohl sein mag.
Komplizierter wird es dann gegen Abend bzw. an dem Zeitpunkt, den man allgemein als Feierabend bezeichnet: Alleine in einer fremden Stadt an einem Dienstag, was macht man da? Eine Dating-App anschmeißen, um sich in endlosen Chats ohne Ergebnis zu verlieren und dabei eine Flasche Weißwein killen oder doch lieber in eine Bar? Man könnte sich auch noch eine Stunde an den Pool oder das Meer legen, so lange es noch hell ist (Hinweis: Das gilt nicht für Deutschland). Familie, Freunde oder Partner könnte man auch mal wieder anrufen. Oder doch ein paar coole Videos auf Youtube gucken? Es soll sogar Leute geben, die darüber nachdenken, ein Buch zu lesen. Zumindest das passiert bei mir nicht. Ganz verrückte würden sogar Sport als Option betrachten. Oha, nein danke.
Und so endet ein weiterer Tag in Freiheit.


