Schon vor dem Beginn meiner Zeit als digitaler Nomade habe ich sehr viele Videos zum Thema Nachteile des digitalen Nomadentums geguckt. Und fast immer war das Thema der Einsamkeit mit dabei, wenn nicht sogar das Top-Thema. Zu diesem Zeitpunkt habe ich das nicht geglaubt, schließlich habe ich meinen festen Freundeskreis und war mir sicher, dass er auch in der neuen Zeit erhalten bleibt. Und ja, das ist er auch. Mein Freundeskreis ist der gleiche wie vorher, auch in Zukunft wird sich das nicht ändern.
Der Punkt dieser gefühlten Einsamkeit ist aber wohl ein ganz anderer: Erst wenn man an einem neuen Ort, in einer fremden Umgebung ist, dann fällt auf, wie unwichtig die eigene Existenz doch ist. Hunderte und tausende Menschen umgeben einen und trotzdem würde es nicht einem von ihnen auffallen, wenn man selbst einfach nicht da wäre. Es ist das „große Egal“. So gerne sitze ich stundenlang an mir neuen Plätzen und Orten, um einfach die Menschen um mich herum zu beobachten. Doch das, was ich beobachte, ist eine niemals endende Gleichgültigkeit. Okay, zumindest gilt das in Deutschland, viel weiter habe ich es bisher ja noch nicht geschafft.
Es interessiert einfach Niemanden
Auf verschiedenen Stops in deutschen Städte habe ich gezielt versucht, auch mal Bekannte von früher wieder zu treffen und so vielleicht den ein oder anderen Kontakt wieder aufleben zu lassen. Mit Menschen, mit denen ich zu irgend einer Phase meines Lebens mal mehr zu tun hat. Menschen, die ich zu bestimmten Zeitpunkten vielleicht auch als Freunde bezeichnet hätte. Und eines hatten alle diese Treffen gemeinsam: Die Gespräche hatten wenig relevanten Inhalt. Niemand interessierte sich für mich, meine Gedanken oder mein Leben. Stattdessen wurde ich mit belanglosen Informationen überschüttet. So mit Frau (oder Mann), Kind, einem normalen 9to5-Job und dem eigenen Haus ist das Leben halt völlig abweichend vom meinem Konzept. Man ist gefangen in der Normalität. Es vielleicht auch kein Wunder, dass man sich in dieser Situation für nichts mehr um einen herum interessiert. Vielleicht hat man Angst, auf den Gedanken des Ausbruchs zu kommen.
Zu Beginn meiner Reise hatte ich fest damit gerechnet, dass ich viele Fragen nach meinen Zielen, Erlebnissen oder auch ein paar Anregungen oder Kritikpunkte bekomme. Aber nein, nix ist. Es ist interessiert Niemanden. Ich könnte in einer Hütte in Nordkorea oder am Nordpol leben. Es würde trotzdem niemand interessieren. Die Frage „wie gehts dir?“ stellt man doch auch nur aus Höflichkeit, nicht weil man die Antwort hören will.
Familie und Nicht-Familie
Besonders auffällig ist auch das Desinteresse meiner Familie. Gut, die haben sich auch früher nicht viel mehr dafür interessiert, was ich so mache, also was soll ich dazu noch sagen. Hätte ich mein Patenkind nicht, würde ich den Kontakt zu meiner Familie wohl so weit runterfahren, dass man sich nicht mal mehr zu Beerdigungen und Hochzeiten sieht. Die Enttäuschung, keine Aufmerksamkeit von mir wichtigen Menschen zu bekommen, weil sie es am Ende nicht mal schaffen, auch nur 30 Minuten Zeit zu haben, verletzt mich jedes mal sehr.
Vielleicht sehe ich das auch zu eng, aber ich kenne durchaus Leute, die ein sehr viel engeres Verhältnis zu ihrer Familie haben. Schon seit vielen Jahren habe ich das Gefühl, dass meine Familie meine beruflichen oder privaten Storys weder hören noch mitbekommen will. Und ich weiß bis heute nicht, was die Gründe dafür sind. Ein Problem mit meiner Selbstständigkeit oder mit meiner Schwulheit, Neid auf den abweichenden Lebensweg? Das wird wohl ein Geheimnis bleiben. Über 15 Jahre meines Lebens habe ich in Hannover gewohnt. Die Anzahl der Tage, an denen mich Mitglieder meiner Familie dort besucht haben, kann ich an einer Hand abzählen. Die knapp 75 km waren ein zu weiter Weg.
Hilfreiches Onlinedating
Auch die Idee, dass man neue Leute online kennenlernen kann, wenn man öfter mal in neuen Städten unterwegs ist, hat sich schneller überholt als ich Dating-Apps installieren konnte. Eigentlich sollte es doch, vor allem wenn man sogar noch in einer offenen Beziehung lebt, ganz einfach sein, einfach mal ein Bier mit jemandem in einer neuen Stadt trinken zu gehen? Falsch gedacht. Eine niemals endende Galerie von Penisfotos und Arschvideos anzulegen wäre hingegen kein Problem, und das sogar in allen denkbaren Sprachen und Behaarungssituationen. Täglich wäre es mir möglich, neue Fetische auszuprobieren oder in einem kleinen Dorf wahllos jemanden zu poppen. Was hingegen nicht möglich ist: Ehrliche oder tiefgründige Gespräche. Sogar unehrliche oberflächliche Gespräche sind Mangelware. Alles, was über „wie gehts?„, „was machst du?“ oder „worauf stehst du?“ hinaus geht bleibt unbeantwortet. Versucht man es mit innovativen Ansprachen, wird man direkt ignoriert oder beleidigt. Ich gebe es auf. Wenn mir dann doch mal danach ist, meine Körperteile entgegen ihrer ursprünglichen vorgesehenen Funktion zur verwenden, komme ich darauf zurück.
Zusammenfassend bringe ich es nochmal auf den Punkt: Die Einsamkeit, von der die anderen digitalen Nomaden berichtet haben, ist sehr real. Allerdings stellt sie sich völlig anders dar, als ich es erwartet hatte. Nicht der Verlust von Freunden oder Partnern ist das Problem, sondern die schlichte Erkenntnis darüber, dass man als Person nicht relevant für die Welt ist, sondern beliebig austauschbar.


