Es ist nun etwas über drei Monate her, dass ich entschieden habe, mein Leben radikal zu ändern und als digitaler Nomade durch die Welt zu ziehen. Mein erster Artikel in diesem Blog entstand am 6. März 2021, jetzt ist Mitte Juni. Und erst jetzt erreiche ich einen Punkt, an dem sich die beiden Lebenswege deutlich trennen: Die Wohnung ist übergeben, meine Vergangenheit ist passee (interessante Feststellung) und eine neue und vor allem völlig unbekannte Zukunft liegt vor mir. Ich denke es ist an der Zeit, ein kleines Resümee zu ziehen und ein paar Gedanken über die Zukunft zu Papier zu bringen.
Eine der wichtigsten Feststellungen, die ich auch noch öfter wiederholen werde: Ab sofort sammle ich Erlebnisse, keine Gegenstände. Ich sammle den Besuch neuer Orte, keine Dekorationen für mein Sideboard. Und meine Leber sammelt Treuepunkte.
Was war
An dieser Stelle habe ich mich entschieden, ein bisschen weiter auszuholen, die letzten drei Monate meines Lebens kann man ziemlich einfach im Blog nachlesen. Die Änderungen in meinem Leben haben sich allerdings schon früher angekündigt bzw. sind schon um die zwei Jahre zuvor in eine eindeutige Richtung gegangen. Und zwar ganz langsam und Schritt für Schritt, als ich mir meinen Werten bewusst wurde: Freiheit & Unabhängigkeit. Das klingt ziemlich platt, aber inzwischen stelle ich diese beiden Werte über alles andere und passe mein Leben dahingehend an.
Noch bevor ich mir diesen Werten bewusst wurde, traf ich im März 2019 eine Entscheidung, die mein Leben für damalige Verhältnisse mehr verändert hat, als je eine Entscheidung zuvor. Es war die Entscheidung, die Firma, die ich über zehn Jahre und somit seit 2009 mit meinem damaligen Geschäftspartner zusammen aufgebaut hatte, zu verlassen. Es ist interessant, aber zu diesem Zeitpunkt war ich wohl erstmalig an dem Punkt angelangt, dass mir Geld völlig egal war. Es hatte einfach keine Bedeutung mehr, ich wollte nur noch raus. Schon mehrere Jahre hatte mir die Arbeit keinen Spaß mehr gemacht und der Stress fraß mich innerlich auf. Auch ein Burnout 2014 hat daran nichts geändert, ich machte weiter wie zuvor. Sogar 2018, als mir schon klar war, dass ich das Thema endlich abschließen muss, besaß ich nicht den Mut, dass Ding auch durch zu ziehen. Ich hatte einfach viel zu viel Angst vor dem Konflikt mit meinem Geschäftspartner und dem Ausscheidungsprozess.
2019 war es dann soweit. Und wie erwartet war mein Geschäftspartner alles andere als erfreut von meiner Entscheidung und das Ausscheiden aus der Firma zog sich mit vielen kleinen und großen Konflikten bis in den Oktober 2019, also fast acht Monate lang. Im Oktober gab es dann eine Einigung und ich konnte mich erstmalig wieder ganz auf den Aufbau meiner neuen Zukunft fokussieren. Es war mir egal, dass ich mit deutlich weniger Geld dastand, als es anfangs angedacht war. Ich war einfach nur überglücklich, dieses lange und schmerzhafte Kapitel meines Lebens hinter mich gebracht zu haben, ohne letztendlich daran zu krepieren. Und immerhin war es finanziell zumindest so, dass ich sicher sein konnte, die nächsten Jahre nicht auf der Straße zu landen. Interessant, wenn man bedenkt, dass ich meine Wohnung 2021 auch ohne finanzielle Nöte gekündigt habe.
Die Zeit zwischen Frühling und Winter 2019 war durch schwere Depressionen geprägt. Ich verlor die Lust am Leben und nichts konnte mich mehr aufheitern. Die Tage liefen nur so an mir vorbei, ohne dass ich etwas Sinnvolles zu Stande brachte. Jedes Gespräch mit meinem Anwalt brachte mich an den Rand meiner wenigen verbleibenden Kräfte. Ich bin wirklich sehr dankbar, dass ich meinen besten Freund und meinen Freund an meiner Seite hatte. Ohne diese beiden Menschen hätte ich diese Krise nicht bewältigt.
Gemeinsam mit meinem Psychiater testete ich in dieser Zeit drei verschiedene Arten von Psychopharmaka, die zwar halfen, aber dank ihrer Nebenwirkungen andere Probleme verursachten. Nummer eins sorgte dafür, dass ich zwar noch Lust auf Sex hatte und einen hochbekam, es allerdings Stunden dauerte, bis ich zum Höhepunkt kam. Wenn man Frauen poppt, mag das vielleicht sogar ein Vorteil sein, mich hat es allerdings nur genervt und das Medikament wurde ersetzt. Das zweite Medikament war allerdings noch schlimmer: Innerhalb von nur 8 Wochen nahm ich ganze 10 kg zu. Pausenlos war ich am Fressen und mein damals (für meine Verhältnisse) schöner Körper wich einer groben Schwabbelmasse. Medikament drei sorgte als Bonus-Zugabe anschließend dafür, dass mir pausenlos übel war. Und das ganz ohne Alkohol. Den vierten Versuch habe ich nicht gestartet, sondern mich dazu entschieden, in Zukunft auf Medikamente dieser Art zu verzichten. Glücklicherweise ging es zu diesem Zeitpunkt auch in die Endphase der Depression und ich kam ohne weitere Experimente klar.
Nach unterschriebenem Ausscheidungsvertrag (geiles Wort!) und dem Geldeingang auf dem Konto erfüllte mich seit vielen Jahren ein starkes Gefühl der Freiheit. Es dauerte dann nur wenige Tage, bis meine Motivation zurückkehrte und ich mit voller Power und neuen Ideen zurück im Leben war. Ich begann unmittelbar, meine neue Firma zu planen und startete mit dem Jahreswechsel 2019/2020 durch. Direkt am 2. Januar 2020 saß ich beim Notar und gründete meine neue Firma namens Tentonix mit der Urkundenrollennummer 1-2020. Der Name bedeutet übrigens „zehn Gin Tonic“.
Und was soll ich sagen: Ich liebe es, nur für mich selbst zu arbeiten. Die ganze Verantwortung liegt bei mir selbst, ja. Und das ist auch gut so. Die Projekte laufen und ich habe in den letzten 18 Monaten mehr dazugelernt als in den zehn Jahren zuvor. Schon während meines Burnouts 2014 hatte eine Psychotherapeutin mein damaliges Problem auf den Punkt gebracht: Ich habe meine Mitte noch nicht gefunden. Heute kann ich sagen: Ich habe sie gefunden. Wobei das eigentlich nicht stimmt. Viel richtiger wäre: Es ist gar nicht notwendig, meine Mitte zu finden, da meine Werte mich immer in neue Mitten lenken werden. Wow, das wirkt fast philosophisch.
Um dieses Kapitel abzuschließen und wieder in die Gegenwart zu springen: Kurz nach meiner Firmen-Gründung kam Corona und ich hatte das große Glück, dass die IT-Branche nicht ganz so schwer getroffen wurde. Im April 2020 startete ich ein längeres Kundenprojekt als Freelancer, was vor ein paar Tagen nach 14 Monaten zu Ende ging. Da ich diese 14 Monate fast ohne Urlaub verbracht habe, werde ich das nun etwas nachholen. Die zweite Impfung kam übrigens ebenfalls letzte Woche und somit ist ein Ende der Urlaubssperre durch Corona in greifbare Nähe gerückt.
Was wird
Das war wohl der perfekte Übergang in den „was wird„-Abschnitt. Nach dem Ende des erwähnten längeren Projektes habe ich mir hauptsächlich vorgenommen, mich auf ein paar eigene Projekte zu fokussieren, die das Ziel haben, ein passives Einkommen zu generieren. Schließlich ist man ja auch eine Art Nutte, wenn man nach Stunden bezahlt wird. Die meisten Menschen auf der Welt sind Nutten. Und um mein klägliches Dasein als obdachlose Nutte zu beenden, muss nun das passive Einkommen herhalten. Das wollen die meisten der digitalen Nomaden: Die Entkopplung von Einkommen und Arbeitszeit. Das heißt übrigens nicht unbedingt, dass man weniger arbeitet, gerade in der Anfangszeit. Meine Projekte gliedern sich in die Bereiche SaaS (Software as a service) und die Generierung von Werbeeinnahmen durch Content-Projekte. So, genug von dem Nerd-Zeug.
Um den verpassten Urlaub der letzten Monate nachzuholen und meine BahnCard 100 in Aktion zu sehen, werde ich in den ersten Monaten nur drei Tage die Woche arbeiten. Die anderen zwei Tage reise ich durch die Gegend, mal mehr und mal weniger ziellos. Eines der ersten ziellosen Ziele wird es ein, in Kassel-Wilhelmshöhe auszusteigen. Das habe ich noch nie zuvor getan. Und angeblich gibt es da ja auch einige schöne Dinge, die man besteigen kann. Also Berge, nicht Männer.
Mit Sicherheit werde ich nebenbei auch an ein paar kleineren Kundenprojekten arbeiten, allerdings keine mit mehr als 24 Stunden pro Woche und mit mehr als einer Dauer von vier bis sechs Wochen. Da das Arbeiten aus airbnbs zwar möglich, aber dauerhaft keine optimale Lösung ist, teste ich in der ersten Phase das Arbeiten aus Coworking-Spaces. So viele Anbieter, die in vielen Städten verfügbar sind, gibt es in Deutschland nicht. Über Deutschland hinaus wird es dann noch schwieriger. Aber ich freue mich sehr auf diesen Versuch.
Ach ja, zu aller letzt werde ich mich auch wieder dazu zwingen, ein paar sportliche Betätigungen durchzuführen. Neben dem Treiben um den Block in Form von Joggen geht es wohl zurück zum UrbanSportsClub, um mich vor möglichst vielen Fitnessstudios drücken zu können und eine Reihe neuer Ausreden zu erfinden, warum ich genau heute und jetzt keinen Sport machen kann


