Ich glaube, dieses könnte mein bisher persönlichster Artikel werden. Das Thema nagt an mir und ich hatte den ein oder anderen emotionalen Ausbruch, wenn ich mich damit beschäftige. Trotzdem (oder gerade deswegen) möchte ich die Alternative thematisieren.

Mich beschäftigt die Frage, wie mein Leben weitergehen würde, wenn ich mich gegen meinen Weg des Nomads entscheiden und meine Beziehung weiterführen würde. Wo wäre ich in ein paar Jahren, wie würde ich mich fühlen?

Heute vor sechs Wochen befand ich mich in einer Beziehung. Es war die intensivste Beziehung, die ich jemals hatte. Eine Fernbeziehung (Hannover vs. Frankfurt) über 2,5 Jahre. Und ich habe mich dazu entschieden, diese zu beenden. Es fiel mir sehr schwer, auch wenn ich bereits im Herbst 2020 darüber nachdachte und es seitdem vor mit herschob. Es war oder ist nie ein Problem fehlender Liebe gewesen, sondern eine Entscheidung für ein Leben in Freiheit. Mit Freiheit meine ich nicht die Freiheit, mit allen möglichen Leuten ins Bett zu gehen, sondern einfach die Freiheit, machen zu können was ich will. Wo ich will, mit wem ich will und wann ich will. Ohne Rechtfertigung und Timetable. Vielleicht hätte es auch die Möglichkeit gegeben, dass mit einer Beziehung zu kombinieren. Nunja, meine Entscheidung stand fest.

Und es tut weh, teilweise tut es wirklich sehr weh. Nie in meinem Leben war ich so in jemand verknallt. Das erste Jahr war der Hammer, wohl eines der schönsten Jahre meines Lebens. Wir haben unglaublich viel zusammen erlebt und viele Länder bereist, bevor Corona uns einen Strich durch die Rechnung machte.

Die Kennenlerngeschichte

Wem das jetzt zu schnulzig wird, der darf diesen Absatz gerne überspringen. Aber es gibt eine wirklich verrückte Geschichte unseres Kennenlernens…

Es ereignete sich an einem Samstag im Juli 2018. Und wie das immer so ist, hatte ich nach etwas über einem Jahr gerade damit begonnen, mein Leben als Single zu genießen. Man sagt ja immer, dass man genau dann einen neuen Partner trifft, wenn man nicht danach sucht. Und genauso war es auch an diesem Sommertag, dem Tag des CSD Berlin. Der Tag begann damit, dass die erste Flasche eines hochprozentigen Mischgetränks schon gegen 11 Uhr morgens leer war und ich mich in das KaDeWe begab, um eine Flasche Hendrick’s Gin samt Tonic Water zu organisieren. Die CSD-Parade war wie üblich verspätet und so war noch genug Zeit, die Getränke förmlich zu inhalieren. 90 Minuten und gefühlt zwei Promille später stand er dann vor mir. Ein Bekannter von zwei Freunden aus Frankfurt, die ich vorher noch gefragt hatte, ob sie einen sexy Boy dabei hätten. Die Antwort war „ne, der ist dir zu alt“. Vielleicht liegt Alter im Auge des Betrachters, aber zwei Stunden später lagen wir uns küssend in den Armen und haben uns im Tierpark näher kennen gelernt. An alle Details erinnere mich auf Grund des fortschreitenden Alkoholkonsums leider bis heute nicht.

Die CSD-Parade kam irgendwann zu ihrem Ende und näherte sich dem Brandenburger Tor, dem Ort der Abschlusskundgebung. An diesem Abend sollte Felix Jaehn als Highlight auftreten. Daraus wurde nichts, denn ein Unwetter zog auf und die Polizei beschloss, die Kundgebung abzusagen und den Platz zu räumen. Wir hatten noch keine Lust zu gehen und versteckten uns hinter einem Getränkewagen, um der Polizei zu entgehen.

Nach Ende des Gewitters, welches in der Tat recht heftig war, gingen wir wieder auf den Platz und konnten die Wirte und Schausteller beim Abbau ihrer Stände beobachten. Auch die Bühnenarbeiter begannen damit, die Bühne abzubauen. Und zwar in der Form, dass die eigentlich für die Künstler gedachten Getränke aus dem Backstage-Bereich an die Gäste verschenkt wurden. Per Wurf über den Bauzahn. In dem Moment, als mich der Gedanke an die Gefahr dieser Tatsache ablenkte, bekam ich auch schon eine Dose Red Bull an den Kopf. Im ersten Moment war ich geschockt, im zweiten lief mir auch schon das Blut an der Stirn herunter.

In Filmen ist es ja so, dass sich die Leute in solchen Situationen in ihren Retter verlieben, und genauso war es auch bei mir. Er nahm mich an die Hand und brachte mich in das naheliegende Rettungszelt, wo sich schon mehrere Personen befanden, die von herumfliegenden Getränken getroffen wurden. Die Ärztin versorgte mich und gab ihm den Zettel zum Ausfüllen meiner persönlichen Daten. Es wirkte wohl so, als würden wir uns schon Jahre kennen, dabei waren es erst ein paar Stunden. Neben meinem Namen wusste er nicht viel von mir. Bei der Frage nach meinem Geburtsdatum kam ich kurz ins Stocken, schließlich musste ich mein ihm genanntes Alter in ein Jahr umrechnen, um mich nicht zu verplappern. Wohlgemerkt blutend und im Vollrausch.

Wiederrum eine Stunde später fanden wir uns samt Pflaster auf der Stirn bei mir im Hotel wieder, damit ich mein blutverschmiertes Oberteil wechseln konnte und wir uns – nennen wir es „ausruhen“ – konnten. Mit dem Taxi erst in mein Hotel, dann in seines, und gegen zwei Uhr nachts dann noch zu einer Party. Die Taxikosten an diesem Tag waren gigantisch.

Auf der Party, dem Irrenhouse von Dragqueen Nina Queer aus Berlin, hatte ich erwartet, dass er mich stehen lässt und sich den Nächsten sucht, schließlich hatte er sich wirklich sexy angezogen. Aber ich täuschte mich und er hatte ausnahmslos Augen für mich. So endeten wir nach der Party bei ihm im Hotel. Er behauptet bis heute, die Klimaanlage wäre defekt gewesen und daher auf der niedrigsten Stufe festgestellt. Ich hingegen behaupte bis heute, dass er nur kuscheln wollte. Das haben wir dann auch getan.

Am nächsten Tag fuhr ich nach Hause und hatte gerade noch dran gedacht, ihn nach seiner Nummer zu fragen. Er ging mir nicht mehr aus dem Kopf, egal wie sehr ich es mir auch vornahm. Schon im Zug musste ich ihm schreiben, obwohl ich das wegen der Entfernung der Wohnorte nicht tun wollte. Viele Telefonate, Whatsapp-Nachrichten und Bekundungen darüber später, dass wir beide auf gar keinen Fall eine Fernbeziehung wollen, befanden wir uns bereits in einer Fernbeziehung und eine spannende Zeit begann. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie aufgeregt ich vor unserem ersten echten Date war und weiß noch jedes kleinste Detail. Nun aber genug mit dem Liebes-Kram.

Und was ist nun die Alternative?

Im vergangenen Jahr kam ich zu dem Schluss, dass das, was ich mir für ein Leben vorstelle, nicht mit einer Beziehung vereinbar ist. Ich bin mir den Werten bewusst geworden, die ich wohl schon viel länger in mir hatte, aber nie realisiert habe: Freiheit & Unabhängigkeit. Und zwar bedingungslos.

Natürlich kann ich diese Werte weiter ignorieren, aber nein. Mein Ziel ist es, mein Leben an diese Werte anzupassen. Ohne Ausnahmen oder Einschränkungen. Mein Freund war gerade dabei, sich eine Eigentumswohnung in Frankfurt zu kaufen. Das ist genau sein Ding und passt perfekt zu seinen Werten. Ich freue mich sehr für ihn, es ist wohl sein Traum.

Die Alternative (jetzt komme ich endlich auf den Punkt) zu meinem jetzigen Plan wäre es gewesen, mit ihm gemeinsam ein Leben in Frankfurt zu planen und in die neue gemeinsame Wohnung zu ziehen. Wir hätten sie von Anfang an zusammen planen und einrichten können, vielleicht sogar gemeinsam kaufen. Meine Firma hätte ich nach Frankfurt ummelden und mir dort ein Büro mieten können, vielleicht sogar wieder mit Angestellten und Sekretärin. Wir hätten unser Leben gemeinsam geplant und aufeinander ausgerichtet. Bei schönem Wetter zusammen auf der Dachterrasse gechillt und mit Freunden gefeiert, bei schlechtem Wetter mit Champagner in der Badewanne. Viele schöne gemeinsame Urlaube in Ländern dieser Welt und entspannende oder aufregende Kreuzfahrten.

Für manche Menschen mag das der perfekte Lebensweg sein, die ideale Beziehung. Ich kann das gut verstehen und verstehe sogar noch viel besser, warum andere Menschen nicht verstehen, warum das nicht mein Weg ist. Aber mein Entschluss steht fest – trotz aller Zweifel.