Eigentlich habe ich mir vorgenommen, keine Artikel mehr mit „eigentlich“ anzufangen und in die Tiefen des Off-Topics abzurutschen. Aber das heutige Thema passt auch zur Queer-Kategorie und daher geht das wohl durch. Und die Oberflächlichkeit der Welt der Schwulen ist inzwischen so abartig geworden, dass ich mir auch schwer klemmen kann, meinen Senf dazu abzugeben.
Obwohl mir das Problem schon seit vielen Jahren bekannt ist, wurde es erst durch die kürzliche Ausgabe von „Take Me Out – Boys, Boys, Boys“ auf RTL wieder in mein Bewusstsein gerufen. 30 Schwule, die RTL zwar mit Boys, Boys, Boys betitelt, die damit aber genauso viel zu tun haben wie Uschi Glas mit der Quelle ewiger Jugend. Gut, aber RTL kann die Sendung wohl auch kaum „Take Me Out – Arrogante Arschlöcher, blöde Baracken und abgefeierte Szene-Spacken“ nennen.
Wie jedes Mal, wenn RTL eine Sendung mit Homos produziert, war es auch hier wichtig, die ganze Bandbreite der Vorurteile gegenüber Schwulen darzustellen: Von Ober-Tucke über Hipster bis his zum Geistesgestörten mit Lesben-Rucksack. Die „Normalos“ wurden wie gewohnt ignoriert, das wäre auch zu langweilig. Aber abgesehen von den 30 „Boys“, die einfach nur mal ins Fernsehen wollten, taten mir vor allem die Kandidaten leid. Herzlichen Glückwunsch, der Kandidat hat Null von 30 möglichen Punkten.
Wer dieses Highlight der Fernsehkunst nicht kennt: Ein Single-Kandidat stellt sich 30 potentiellen Partnern vor. Erst mit sanftem Vorbeigehen inkl. eigens ausgewähltem Song, dann mit Vorstellungsvideo und in Runde drei mit einer Live-Aktion oder einem weiteren Video. Die 30 potentiellen Partner drücken während dieser drei Runden immer dann auf den Buzzer, wenn ihnen irgendwas davon nicht passt. Im Idealfall bleibt mindestens einer übrig, mit dem der Kandidat dann ein Date gewinnt. Mit Limousine und billigem Prosecco.
Leider hat der Großteil der Kandidaten die Grundregeln des schwulen Datings nicht verstanden und damit einige NoGos unberücksichtigt gelassen. Also fassen wir mal zusammen, aus welchen Gründen die Kandidaten rausgebuzzert wurden:
- Besitz von Haustieren: Das ist haarig und widerlich. Das geht nicht. Ein Mann mit Haustier kommt nicht in Frage. Buzz!
- Beste Freundin: Man möchte seinen Partner nicht teilen, vor allem nicht mit einer Frau. Daher ist es verboten, eine beste Freundin zu haben, wenn man ein Date gewinnen möchte. Buzz!
- Schwule Hobbys oder Berufe: Wenn man gerne Tango tanzt oder hauptberuflich als Frisör tätig ist, ist das suboptimal. Klischee-Hobbys und -Berufe werden abgelehnt. Buzz!
- Dialekt: Okay, das kann zugegeben wirklich ein ziemlicher Liebestöter sein. Der Ausgewählte sollte dem Hochdeutschen mächtig sein. Auch beim Sex. Buzz!
- Zu wenig oder zu viel Geld: Die perfekte Mitte muss getroffen werden. Hat der Partner zu wenig Geld, würden Ausflüge und Urlaube schwer möglich, hat er zu viel Geld, leidet das eigene Selbstbewusstsein. In beiden Fällen: Buzz!
„No fats, no fems, kein BBB“
Das „no BBB“ ist noch ein Überbleibsel aus meiner Jugend. Damals hat man das sein Dating-Profil geschrieben, um zu vermeiden, dass einen Leute mit „Bart, Bauch oder Brille“ anschreiben. Bärte sind heute sehr angesagt, daher ist BBB veraltet. Ersetzt wurde es durch diverse neue Kurz-Informationen: No fats, no fems, no asians, no blacks, no was weiß ich auch immer. Wichtig ist hier zu betonen, was man nicht will. Mit etwas Glück bleiben deutschlandweit fünf bis zehn Leute übrig, welche allen Anforderungen gerecht werden.
Ein sehr schlauer Benutzer einer hiesigen Onlinedating-Plattform hatte neulich festgestellt, dass man die Zielgruppe nicht nach BMI filtern kann. Mit dem manuellen Ausrechnen wären er und seine potentiellen Dating-Partner schlichtweg überfordert gewesen. Also hat er sich dran gemacht und eine perfekte Formel entwickelt, die mit hoher Genauigkeit ermittelt kann, ob jemand zu fett ist. Und die lautet wie folgt: „Das Gewicht darf nie höher sein als die Körpergröße in cm minus 100 minus zehn„. Dieser Mensch ist ein Genie. Wenn ihr also 180cm groß seid, dürft ihr nach dieser Formel maximal 70kg wiegen. Alles andere ist zu fett. Vielleicht bietet sich ein Umstieg auf Salat um.
Besagter Benutzter ist übrigens einer von den Offiziellen, d.h. er trägt „official“ im Nickname. Das ist wichtig um klarzustellen, dass man der Einzige ist. Die „inofficial“-Version ist dann die, die ohne Gesichtsbild nach Vergnügen auf komplett horizontaler Ebene sucht. Kein BBB, dafür BB. Für Unwissende erkläre ich das nun nicht.
Entspricht man allen oder zumindest den meisten Kriterien der schönen rosa schwulen Welt, passiert etwas ganz Tolles: Man wird gnadenlos mit Bildern von Körperteilen zugebombt, die man auf gar keinen Fall sehen will. Üblicherweise stammen diese Bilder von Leuten, die keinem einzigen der Kriterien entsprechen. Mit Glück bekommt man dazu noch einen aussagekräftigen Satz wie „fun?“. Literarisch, kurz und prägnant. Quasi on point.
Zu alt für die schwule Welt
Das neben vollständiger Überfettung wichtigste Ausschlusskriterium hätte ich beinah vergessen: Man kann nicht nur zu haarig, zu ausländisch, zu deutsch oder zu klein sein. Selbstverständlich kann man auch zu alt sein. Die magische Zu-Alt-Grenze wird bei 30 Jahren festgelegt. Als schwuler Mann über 30 gehört man somit zum alten Eisen. Diese fixe 30er-Grenze sorgt dafür, dass schlichtweg niemand 30 ist. Dafür häufen sich die Leute zwischen 27 und 29 Jahren, weiter geht es dann erst mit ca. 33-35. Es wäre interessant ein Altersdiagramm der Nutzer zu sehen, samt passender Übersetzungstabelle ins wahre Alter. Zu jung sein ist hingegen praktisch unmöglich.
Es ereignete sich vor einiger Zeit, dass ich den Erfolg eines Dates mit einem deutlich jüngeren Mann auskosten durfte. So deutlich, dass er mit Mühe und Not volljährig war. Ich war (wie sollte es auch anders sein) 28. 30 war ihm nämlich zu alt. Es kam wie vermutet: Er verliebte sich in mich, hat sich geoutet und seine Mutter um Erlaubnis für die Beziehung mit einem alten Mann gebeten. Mutter hat es autorisiert. Der alte Mann darf aber auch wirklich nur maximal 28 Jahre alt sein. Es gab dazu übrigens nie eine Beziehung.
Auch ich bin nicht völlig frei von Schuld. Und auch wenn ich die übertriebene Oberflächlichkeit verabscheue kann ich doch nicht behaupten, gar nicht oberflächlich zu sein. Das wäre gelogen. Ich mag zum Beispiel keine Männer mit Bärten. Und wer möchte nicht gerne einen jungen Typen mit perfekten Bauchmuskeln im Bett haben. Zumindest dann, wenn es sich nicht um eine Gesichtsgrätsche handelt und die Zahnbürste kein Deko-Gegenstand ist.


