„Du bist doch verrückt“. Diesen oder ähnliche Sätze habe ich von Familie & Freunden gehört, als ich verkündet habe, meine Zelte in Hannover abzubrechen in künftig, also zumindest für die nächsten paar Jahre, als digitaler Nomade durch die Welt zu reisen. Zumindest habe ich mich dann aber davon überzeugen lassen, eine Art Testphase über ein paar Wochen durchzuführen und erst anschließend die Wohnung zu kündigen und mich meines kompletten Hausstands zu entledigen. Hach, Dinge zu entsorgen gehört zu den größten Freuden meines Lebens.

Doch eins nach dem anderen. Den Gedanken, die Welt sehen zu wollen und sich vom „normalen“ Leben zu verabschieden, hatte ich schon vor längerer Zeit, auch wenn das längst nicht in so krasse Richtungen wie das Kündigen der Wohnung ging, sondern in Richtung einer Überwinterung auf Gran Canaria oder dem Arbeiten von der Terrasse in einer schönen Ferienwohnung

Vielleicht ist das alles auch eine Flucht vor mir selbst? Oft habe ich von Freunden (oder Psychologen) gehört, dass ich meine Mitte noch nicht gefunden habe; das ich nicht weiß wo ich hin will. Und ja, das ist definitiv der Fall. Das war es vor 10 Jahren und das gilt auch noch heute. Gerade deswegen ist es an der Zeit, sich in das Abenteuer der „Suche nach der Mitte“ aufzumachen und dabei einfach so lange neue Sachen auszuprobieren, bis man angekommen ist. Alleine in Hannover bin ich 8x umgezogen, habe fast jährlich renoviert oder nach verrückten Wohnungs-Bauprojekten gesucht. Vom XXL-Podest im Wohnzimmer bis hin zur Entspannungs-Oase auf einer kleinen Insel. Sogar eine Discothek habe ich eröffnet, weil mich der Gedanke so gereizt hat. Ich sehne mich nach Abwechslung. Alltag macht mich wahnsinnig, egal ob im Berufsleben oder Beziehungen. Das, was viele als ihren oder sogar den idealen Lebensweg ansehen (Aufstehen, 9to5-Job, Abendessen, Unternehmungen und warten auf das Wochenende) ist für mich nicht vorstellbar, geradezu ein Albtraum. Auch wenn ich das Wort „Hamsterrad“ in diesem Zusammenhang eigentlich nicht mag, trifft es die Situation doch recht gut. Das kann doch nicht alles sein. Nein, das ist definitiv nicht alles!

Je mehr ich mich mit dem Thema „digital nomad“ beschäftige, desto mehr wird mir klar, dass das Thema in vielerlei Hinsicht gut zu mir passt. 80% der Dinge, die in den Anfänger-Videos erklärt werden, sind bei mir seit Jahren erledigt und selbstverständlich. Meinen Job kann ich ortsunabhängig ausführen, ich bin schon immer selbstständig gewesen und viele Gegenstände und Eigentum habe ich nicht und hatte ich auch nie. Ganz im Gegenteil: Seit ich im letzten Jahr den coolen Trend des Minimalismus entdeckt habe (da gibt es viele interessante Bücher zu), habe ich die Anzahl der Dinge in meinem Leben bereits sehr stark reduziert. Ich hänge auch nicht an materiellen Sachen. Das Trennen von weiterem Kram ist eher ein Spaß als eine Strafe. Es beruhigt mich ungemein, wenn ich wieder eine Kiste mit (in meinen Augen) überflüssigem Zeug entsorgen, verschenken oder verkaufen kann. Wieso braucht man als Single-Haushalt zwölf Gabeln, wieso braucht man zehn Handtücher, warum besitzt man überhaupt gedruckte Bücher? Ich könnte ewig so weitermachen.

Womöglich starte ich aktuell in das größte Abenteuer und die größte Verrücktheit meines Lebens, doch ich bin mir mehr als sicher, dass ich das tun sollte und auch tun werde. Selbstredend unter Einhaltung der Testphase, die ich meinen Freunden versprochen habe. Seit ich 30 geworden bin, hat sich mein Leben um 360 Grad gedreht. Beziehung, Körper, Job: Alles anders, und alles besser. Und bei jeder dieser Sachen kam am Ende folgende Frage auf: Warum habe ich Idiot das nicht schon viel früher gemacht? Nun gut, vielleicht sage ich mir das am Ende dieses Projektes auch. Vielleicht auch nicht. Wir werden sehen

Noch vor ein paar Jahren waren meine Ziele im Leben völlig konträr zu den Aktuellen: Ein 7er BMW, eine Luxuswohnung mit Bretz-Sofa und offener Küche und eine Firma samt Büro und Angestellten. Aus heutiger Perspektive wären diese Dinge mehr Belastung als Belohnung. Das Auto kann kaputt gehen, in der Firma hat man die volle Verantwortung über das Personal oder um Himmels Willen, es könnte jemand Rotwein auf das Bretz-Sofa kippen. Nun, die Lösung ist einfach: Kein Bretz-Sofa, kein BMW, keine Personal-Verantwortung. Das spart sogar noch jede Menge Geld und Nerven.

Wieso schreibe ich das eigentlich auf? Zum einen, weil ich diese ganzen Gedanken nicht aus dem Kopf bekomme und irgendwo zu Papier bringen muss. Zum anderen gehört es offensichtlich zum guten Ton, dass man als digitaler Nomade einen Blog schreibt. Ich werde mich hierbei aber vorerst auf Text, Content & Bilder beschränken, anstatt anderen Menschen Tipps für ihr Leben zu geben. Und nein, ich habe auch nicht vor, einen YouTube-Channel zu starten. Ich war noch nie ein Fan von Kameras. Was ich aber tun werde, ist jeden meiner nächsten Schritte – und ganz allgemein jeden Schritt dieses Abenteuers – zu dokumentieren. Wo das hingeführt ist bisher unklar, aber spannend wird es in jedem Fall. Was für Leute werde ich treffen? Welche Probleme kommen auf mich zu? Habe ich die Sonne irgendwann satt? Wie lange mache ich das und welche Länder werde ich sehen? Ich kann es kaum erwarten, das alles herauszufinden.