Endlich bin ich angekommen, das lang herbeigesehnte Ziel der Hauptstadt steht auf dem Plan und der vielerwähnte „Sommer in Berlin“ kann starten. Okay, Sommer ist relativ. Die Sonne lässt sich nicht blicken, die Temperaturen bewegen sich zwischen 18 und 27 Grad. Trotzdem schafft es das airbnb, sich auf 30 Grad aufzuheizen. Eine geile Technik, sowas bräuchten wir im Winter.
Morgens will man sich ein gesundes Frühstück zubereiten, und dann ist der Vodka leer. Genau so hat mein erster Morgen in Berlin angefangen. Seit einer Woche bin ich nun hier, Mitte der Woche kam auch mein Freund dazu. Direkt am letzten Sonntag Abend gegen späten Nachmittag verließ ich Frankfurt nach der bisher besten Party des Jahres (eine recht homo-orientierte Rooftop-Party auf einem Parkhaus) in Richtung Berlin Hauptbahnhof. So um die vier Stunden braucht ein Zug für die Strecke, wenn er pünktlich ist. Und man staune: Er war es, eigentlich sogar drei Minuten zu früh. Die Klimaanlage funktionierte, das Bordrestaurant war geöffnet und hatte sogar Wein vorrätig. Sehr vorbildlich und so, wie es immer sein sollte. Einziges Manko waren die ca. 4000 Leute, die sich eng an eng aneinander quetschten und dafür sorgten, dass ich die ersten zwei Stunden auf dem Gang sitzen durfte. Und zwar gegenüber einer militanten Kampflesbe mit roten Haaren.
Apropros rote Haare: Noch vor der Abfahrt nach Berlin habe ich in Frankfurt einen neuen Frisör ausprobiert. Eine Empfehlung meines Freundes. Angeblich bekommt man dort Gin Tonic während es Haarschnitts. Und den habe ich in der Tat bekommen. Drei Gin Tonics, drei Stunden und 140 Euro später sind meine Haare nun blond. Auf Experimente lasse ich mich bekannter weise ja gerne ein. Auch wenn es völlig anders und gewöhnungsbedürftig. aussieht, habe ich bisher nur positive Worte für die neue Frisur bekommen. Und ich darf nun offiziell als HP Steffen angesprochen werden.
(Geschlechts)Verkehrssysteme
Jedes Mal, wenn ich in Berlin unterwegs bin, fällt es mir auf: Der Nahverkehr in Berlin ist sensationell. Er ist umfangreich, er erreicht fast jeden und hat eine sehr hohe Taktung. Zusammengefasst also exakt so wie auch der Geschlechtsverkehr in Berlin. Wahrscheinlich bekommt man in der U-Bahn auch ähnlich viele Krankheiten.
Die Bahnhöfe in Berlin sind so gebaut, dass man sie versteht. Auch nach drei Flaschen Wein ist es hier möglich, von A nach B zu gelangen. Eine Stadt, von welcher man das nicht behaupten kann, durfte ich vor zwei Wochen besuchen: München. Die Person, die hier den Hauptbahnhof geplant hat, möchte ich gerne mal kennen lernen. Auch nachdem mir ein Freund erklärt hat, dass der Bahnhof in U-Form aufgebaut ist, kam ich nicht besser klar. Sogar nüchtern verlief ich mich bei jedem Besuch etliche Male. Eine völlig wirre Zusammenstellung verschiedener Verkehrsmittel, Bahnsteige und Gleise ohne jede Grundlage oder Planung. War es das, was uns Edmund Stoiber damals erklären wollte?
Davon abgesehen, dass sich in Berlin bei der BVG genau überlegt wurde, wie die Fahrgäste das System verstehen, sind sie auch für ihre Werbe-Abteilung und Sprüche bekannt. Auf der Straßenbahn, die direkt vor dem airbnb vorbeifährt, stehen Sätze wie“Im Gegensatz zu dir bin ich immer breit“. Allgemein ist die BVG auch Vorreiter, wenn es um die LGBT-Werbung geht. Eine Sache gibt es allerdings, die mir mehr als negativ aufgefallen ist: In einer Party-Stadt wie Berlin hätte ich eigentlich erwartet, dass man die U- und S-Bahn an sieben Tagen der Woche über 24 Stunden, also auch nachts, nutzen kann. Pustekuchen, nach Betriebsschluss um 1 Uhr wird alles abgeschlossen, man darf sich in langsamen Nachtbussen durch die Nacht quälen. Und bei dem Thema fällt mir auch noch ein zweiter Negativ-Punkt ein: Wieso schafft man es in 2021 nicht, alle U- und S-Bahnen vernünftig zu klimatisieren?
Deutschland vor dem Aus
Natürlich ist Deutschland nicht vor dem Aus (zumindest nicht vor der Bundestagswahl), aber schon jetzt gehen mir die Ideen aus, wo ich so hinfahren soll. Zugegeben, es ist mega, wenn man Dank BahnCard 100 einfach überall einsteigen kann. Die meisten Orte interessieren mich aber schlicht und einfach kein Stück. Was soll ich bitte in Nürnberg!?
Da ich eher der Stadtmensch bin und mir das Vorhandensein einer Gay-Szene vor Ort nicht unwichtig ist, stehen nach Berlin gar nicht mehr so viele Städte auf dem Plan: Ein paar Wochen in Köln, ein paar Wochen in Hamburg und ein paar Wochen in Stuttgart, dann reicht es und ich ergänze meinen Fokus auf ganz Europa. Da der Zeitplan bis Ende 2021 aber schon voll ist (bis Anfang Dezember sind alle Tage verplant und alle Aufenthalte gebucht und bezahlt), werden diese restlichen Städte aber eh in das kommende Jahr rutschen. Und ganz ehrlich, in Hamburg ist das Wetter doch eh immer kacke, egal ob es Juli oder Januar ist.
Leider scheint es auch so zu sein, dass der nächste Lockdown nicht mehr lange auf sich warten lässt. Der für den August geplante Amsterdam-Trip ist bereits den Absagen zum Opfer gefallen. Das geile XLSIOR Party-Festival auf Mykonos, für das die Gäste übrigens ganze 500 Euro Eintritt berappen sollten, ebenfalls. Es ist mehr als frustrierend und endlos nervig, dass das Leben weiterhin so stark eingeschränkt wird, nur weil einige Kackbratzen der Meinung sind sich nicht impfen lassen zu müssen. Und natürlich auch deswegen, weil es scheinbar nicht möglich ist, endlich den ganzen nervigen Kindern die Impfung in ihre kleinen Körper zu jagen.
Der CSD Berlin 2021
Die CSD-Parade in Berlin war die erste Parade, die ich in diesem Jahr besucht habe. So die Hälfte davon haben wir sogar verpasst, weil wir es auf einer Bootsparty (das GMF Pride Boat war übrigens absolut mega!) am Freitag so übertrieben hatten, dass wir froh waren, es am Samstag aus zum Bett zu schaffen. So bekamen wir gerade noch die letzten Züge der Parade nahe der Urania mit. Und überraschenderweise hielt sich niemand an irgendwelche Abstands- oder Maskenregeln. Auch kamen ein paar mehr Besucher als erwartet. Zusammengefasst wirkte es so, als gäbe es kein Corona mehr. Ein großes Gedrängel, feiernde und saufende Menschen, und jede Menge Spaß. Nur Musik gab es weniger als geplant. Ein paar wenige Bollerwagen-ähnliche Gefährte samt integrierter Disco-Anlage waren aber unterwegs und somit der Star auf der Parade. Menschentrauben feuerten sie an und applaudierten vor Begeisterung.
Die Schlange vor dem Edeka am Nollendorfplatz glich der Schlange am Berghain, sowohl von der Länge als auch vom Outfit der Wartenden. Schwule und Lesben soffen die komplette Alkohol-Abteilung leer. Aber immerhin: Der Supermarkt war perfekt klimatisiert. Gegen späten Nachmittag fing die Polizei dann an, den Bereich des Nollendorfplatzes und der Motzstraße zu räumen. Anfangs noch freundlich, im weiteren Verlauf dann nicht mehr so nett. Musikanlagen wurden konfisziert und die Leute aufgefordert, sich doch im ganzen Viertel zu verteilen. Auch vor den Bars ging das große Durcheinander weiter. Aber nun ja, wir hatten viel Spaß. Es war einer der ersten Tage in der langen Corona-Zeit, der sich zumindest ein bisschen nach Normalität angefühlt hat. Und das nicht nur wegen dem endlosen Vorrat an Bier, Sekt und anderen Köstlichkeiten.
Unwetter, Räumung und Hedonisten-Party
Der Plan war es, den CSD-Sonntag ruhig auszuklingen zu lassen. Dazu hatten wir uns Tickets für eine Rooftop-Party im weekend club besorgt, eine Location auf einem recht hohen Gebäude nahe des Alexanderplatzes. Früher all-sonntaglich durch das GMF bespielt, ist es heute der Revolver-Veranstalter, der Sonntags für gute Musik und coole Drinks sorgt. Zumindest theoretisch. Um 13 Uhr ging es los, gegen 17 Uhr wurden wir auf Grund eines Unwetters in ein darunter liegendes Stockwert evakuiert. Hier saßen alle Partygäste nun 90 Minuten fröhlich zusammen – mit Maskenpflicht, ohne Klimaanlage und anfangs sogar ohne Getränke. Am Ende gab es zwar einige wenige Getränke, die meisten waren aber nicht ausverkauft. Es regnete weiter und weiter und nach Ablauf der 90 Minuten wurde die Party gänzlich abgesagt und alle Gäste herausgebeten. Geld gab es natürlich keines zurück. Keiner der vorab angekündigten und angesagten DJs hatte zu diesem Zeitpunkt bereits aufgelegt. Hey, zumindest gab es bei Einlass ein kostenloses T-Shirt für jeden Gast.
Im gleichen Gebäude stolperten wir im Anschluss in eine andere Veranstaltung, schließlich war es schwer das Gebäude bei Starkregen und ohne Regenschirm zu verlassen. Diese mehr hedonistisch angehauchte Party namens Symbiotika war krass. Eine Partyreihe, die sonst im KitKat Club stattfindet. Recht nackte und offene Menschen bei fröhlicher Techno-Musik in einer Mischung aus Sex- und Drogenrausch. Nun, was soll ich sagen, diese Party war mein Highlight am Sonntag. Ich hatte lange keine Menschen mehr gesehen, die in diesen schweren Zeiten so ausgelassen feiern. Der anschließende Ausflug in die Motzstraße hingegen war wieder ernüchternd: Bereits am Sonntag war die Stadt wie leergefegt, in den Gay-Bars waren keine Menschen mehr. Ein durchaus kurzes CSD-Wochenende in Berlin.


