Es ist sehr schade, aber es hat dieses Jahr wirklich bis zum 9. Mai gedauert, bis ich mit Selbstbewusstsein schreiben kann: Was für ein geiler Sommertag. Okay, genau genommen ist der kalendarische Sommerbeginn noch ein paar Wochen hin, aber es ist ein tolles Gefühl, mit T-Shirt und kurzer Hose vor die Tür gehen zu können, ohne sich bei acht Grad am Timmendorfer Strand den Arsch abzufrieren. In Frankfurt sind es ganze 24 Grad und die winterlichen Temperaturen an der Ostsee gerade mal vier Tage her. Ich befinde mich am Frankfurter Hauptbahnhof auf dem Weg Richtung Dunkeldeutschland. Und auch dort sollen die Temperaturen über 20 Grad betragen. Habe ich gerade einen ganzen Absatz über das Wetter geschrieben? Sorry, mein Blog sollte eigentlich nicht wie der Smalltalk zu Beginn eines schlechten Dates wirken…
Ich war noch nie in Leipzig. Und auch die meisten Städte, die an der ICE-Strecke von Frankfurt nach Leipzig liegen, kenne ich nicht. Vielleicht ist das auch gar nicht so schlimm. Was soll ich auch in Eisenach? Von Leipzig habe ich bisher von Freunden nur Gutes gehört, daher freue ich mich auf die Woche und hoffe, weder von Rechts- noch von Linksradikalismus genervt zu werden. Eine endlose Liste von Vorurteilen breitet sich in meinem Kopf aus, wenn ich auch nur am Rande über die DDR nachdenke. Und ja ich weiß, dass es dir DDR schon lange nicht mehr gibt. Aber auch in meinem Kopf existiert sie noch immer. Und das obwohl ich zum Ende der DDR-Zeit irgendetwas zwischen Spermien in meinem Vater und im nicht zurechnungsfähigem Kindesalter war. Nun habe ich die Möglichkeit, mich allen Vorurteilen zu stellen und auf die Probe zu stellen, ob es in der DDR wirklich so schrecklich ist wie vermutet. Die ganzen Milliarden des Soli sollten zumindest dafür gesorgt haben, dass alle Straßen aus Gold sind und aus öffentlichen Brunnen Champagner anstatt Wasser sprudelt.
Leipzig ist schon irgendwie nice
Und in der Tat, mir gefällt Leipzig sehr gut. Sogar deutlich besser als vermutet. Die Verkehrsanbindung ist klasse, es gibt unglaublich viel grün und die Abwechslung aus neuen Gebäuden und alten Schrott-Immobilien animiert mich dazu, stundenlang wahllos rumzulaufen. Auch das airbnb, welches nur wenige hundert Meter vom Hauptbahnhof entfernt ist und sich direkt in der Innenstadt befindet, ist klasse. Genau so sollte ein airbnb sein: Es gibt Klopapier, es gibt Handtücher und es gibt Duschgel. Sogar die Küche ist vollständig ausgestattet, so dass ich doch glatt auf die Idee komme, zu kochen. Ist es etwa schon so weit und ich habe zu viel Zeit?
Die ersten drei Tage blieb das Wetter stabil und ich habe die empfohlenen 10.000 Schritte pro Tag problemlos gemeistert, danach hat sich der Regen das Land zurückerobert. Und ich habe ein neues Hobby entwickelt: Sich einfach mit einem Drink und Kopfhörern an einen belebten Platz setzen und die Menschen beobachten. Es ist spannend, was so alles um einen herum passiert. Früher ist mir das nie aufgefallen. Vielleicht werde ich als Rentner mal einer von diesen Menschen, die den ganzen Tag am Fenster rumsitzen und die Nachbarn beobachten. Und dann natürlich anschwärzen, schließlich bin ich Deutscher und muss versuchen, ein paar Klischees zu bedienen.
Man sagt ja, dass Leipzig Ähnlichkeit mit Berlin hat. Dem kann ich nur zustimmen, allerdings wie das Berlin vor einigen Jahren. Diese nervigen Hipster-Typen sind in Leipzig deutlich weniger vertreten. Ich hatte das eigentlich genau andersrum erwartet. Es wirkt ein bisschen so, als wäre Leipzig ein paar Jahre hinter der Zeit. Viele sexy junge Kerle laufen hier rum und es gibt noch Rasierer. Dieser schreckliche „Männer müssen einen Bart haben„-Trend hat sich hier nicht so sehr durchgesetzt wie in anderen Teilen Deutschlands.
Beim Beobachten der Menschen sind mir sehr verrückte Kreaturen aufgefallen, so zum Beispiel ein ca. 70 Jähriger Mann mit freiem (bierbäuchigen) Oberkörper und Cowboy-Hut, der an einer Straßenbahn-Station die Jugendlichen bespaßt und mit ihnen zusammen säuft. In etwa so stelle ich mir auch einen grünen Bundeskanzler vor, natürlich aber ergänzt um einen Joint.
Was mir übrigens nicht groß aufgefallen ist, sind viele Linke, Rechte oder Asoziale. Zumindest nicht mehr als in anderen Städten. Meine Vorurteile werde ich also aufs erste begraben. Wobei, wer weiß, in der kommenden Woche steht ja noch Dresden auf dem Plan. Ob meine Eindrücke dort ähnlich gut sein werden? Vielleicht kommt mir Leipzig auch nur deswegen so toll vor, weil der Kontrast zur Flop-Woche an der Ostsee so groß ist. Und vielleicht auch noch, weil mein Freund mich hier besucht. Apropros Freund – die Updates zu diesem Thema werde ich an anderer Stelle thematisieren.
PS: Ich habe eine neue Kategorie namens Reisetagebuch angelegt und diesen Beitrag in diese Kategorie geschmissen. Ich möchte zwischen Zielen und den allgemeinen Gedanken über das Thema digitale Nomaden unterscheiden. Und natürlich halte ich mich an mein Versprechen, keine Zeilen oder Fotos über Sehenswürdigkeiten zu posten.


